Pricing mit Zeiterfassung ‒ ein Irrweg? (Teil 1)

von Patrick Durrer

    Das Wichtigste in Kürze

  • Stundensatz × Stundenschätzung = Offertpreis
    Eine sehr alte und verbreitete Formel, die sich aus unserer Sicht nicht für den modernen Praxiseinsatz eignet.
  • Schein-genauer Stundensatz
    Die Berechnung des Stundensatzes ist das Ergebnis aus verschiedenen Variablen, die entweder aus der Vergangenheit stammen oder nur geschätzt werden.
  • Schätzungen ‒ It is what it is!
    Auch mit den besten Methoden und Werkzeuge bleibt eine Schätzung eine ungefähre Annahme. Ansonsten wäre es keine Schätzung mehr.

Pricing mit Zeiterfassung ‒ ein Irrweg?

Agenturen verkaufen Zeit ‒ das war auch lange das grundlegende Geschäftsmodell der OFFLINE GmbH. Wie viele andere haben wir seit jeher auf diese altbewährte Formel zur Berechnung von Offerten gesetzt:

Herkömmliche Formel für Berechnung des Offertpreis

Jedoch genau solange wie wir mit dieser Kalkulation arbeiten, sehen wir uns mit den damit verbundenen Fragen und Mängeln konfrontiert. Genau von diesen Mankos handelt dieser Blogbeitrag.

Wer ist Schuld?

Dieser Frage begegnet wahrscheinlich jede Agentur regelmässig, die mit der oben erwähnten Formel ihre Offertpreise berechnet. Zur Veranschaulichung eine kleine Kriminalgeschichte in drei Akten:

1. Akt: Der Fall

Für die Umsetzung einer Funktion X haben wir dem Kunden eine Kostenschätzung (Stundensatz × Stundenschätzung) gemacht. Die Zusage kommt prompt und wir dürfen die Funktion umsetzen. Nach einigen Wochen wird klar, die Funktion X ist wohl komplexer als gedacht. Wir benötigen für die Fertigstellung mehr Zeit als veranschlagt. Die Ampel im Projektmanagement-Tool steht auf rot und wir fragen uns: Wer ist Schuld?

2. Akt: Die Verdächtigen

Das Entwicklerteam, dass uns eine unpassende Zeitschätzung für die Offerte gegeben hat! Doch wie sollten sie auch? Sie haben die Funktion X ja noch nie umgesetzt und können sich erst nach einigen Stunden Einarbeit ein klares Bild vom damit verbundenen Aufwand machen.

Der Auftraggeber, welcher diese Anforderungen und Spezialitäten nicht klar kommuniziert hat! Doch wie sollte er auch? Sein technisches Verständnis reicht nicht aus, um die technischen Knacknüsse dieses Projektes zu identifizieren und einzuschätzen ‒ genau dafür hat er ja uns angeheuert.

3. Akt: Das Urteil

Wir können versuchen die Stunden dem Auftraggeber zu verrechnen. Jedoch mit welcher Begründung? Weil wir falsch kalkuliert haben? Gibt es Kunden:innen ein gutes Gefühl, wenn diese jederzeit mit einem Nachtrag rechnen müssen und uns damit ausgeliefert sind? So steigern wir vielleicht kurzfristig unseren Gewinn, jedoch entsteht dadurch wahrscheinlich keine nachhaltige Kundenbeziehung.

Oder wir als Agentur beissen in den sauren Apfel und übernehmen die Stunden. Nun wird es jedoch schwierig die Motivation hoch zu halten. Das Projekt ist ja eh schon auf rot und damit ein Minusgeschäft. Vielleicht fürchten sogar Mitarbeiter:innen um ihren Job, weil sie nicht mehr rentabel sind. Bei der Umsetzung konzentrieren wir uns ab sofort auf die Minimierung der Aufwände, und nicht mehr auf den optimalen Output für das Projekt, welches den grösstmöglichen Kundennutzen hat.

Wenn beide also nicht Schuld sind, wer ist es dann?

Wir meinen, das zugrundeliegende System der Zeiterfassung.

Doch nicht so bewährt?

Irgendetwas scheint also bei dieser altbewährten Formel doch nicht so bombenfest zu sein, wie gedacht.

Herkömmliche Formel für Berechnung des Offertpreis

Nehmen wir die beiden darin enthaltenen Variablen ‒ den Stundensatz und die Stundenschätzung ‒ einmal genauer unter die Lupe und schauen, wie diese berechnet werden.

Berechnung Stundensatz (A)

Gemäss klassischer Betriebslehre wird ein Stundenansatz mit folgender Formel berechnet, dies wird auch vom KMU-Portal des Bundes so empfohlen:

Herkömmliche Formel für Berechnung des Stundensatz

Kostentotal

Das Kostentotal wird dabei aus verschiedenen Komponenten aus der Vergangenheit berechnet:

Herkömmliche Formel für Berechnung des Totalkosten

Dabei handelt es sich bei den meisten Bestandteile dieses Totals um Variablen. Personal, Software, Telefon, Abschreibungen etc. ‒ alles Werte, die sich mindestens einmal im Jahr ändern, meistens sogar öfter. Entsprechend sollte auch der Stundensatz laufend angepasst werden (wird er aber nicht). Und auch wenn, wäre dies immer noch zu spät, da wir nicht die laufenden Kosten berücksichtigen, sondern nur die aus der Vergangenheit.

Unser Fazit: Das Kostentotal ist ein relativ statischer Wert aus der Vergangenheit, der nicht einfach auf die Zukunft adaptiert werden kann.

Gewinnmarge

Wie viel soll es den sein? 5%, 10%, 15% ‒ oder darf es noch etwas mehr sein? Es gibt keine allgemeingültige Grundlage für die Berechnung der Gewinnmarge bei der Festlegung des Stundensatzes. So wird dieser Wert meistens Freihand definiert.

Unser Fazit: Die Gewinnmarge ist eine willkürliche Zahl, mehr ein Bauchgefühl als ein kalkulierter Wert.

Jahresarbeitsstunden

Herkömmliche Formel für Berechnung der Jahresarbeitsstunden

Unser Fazit: Die gute Nachricht für alle Mathematiker:innen, diese Berechnung sollte noch am genauesten sein.

Unproduktive Stunden

Die Produktivität eines Mitarbeitenden ist alles andere als vorhersehbar. Anders als bei Maschinen, lässt sich bei uns Menschen die Leistung nicht takten. Die Anzahl von produktiven und unproduktiven Stunden wird durch eine Vielzahl von Variablen beeinflusst: Persönliche Verfassung, Krankheit, Technologie-Wandel, Auslastung, Zeit für Mitarbeiter-Einführung, Besprechungen, Telefongespräche, Kaffeepausen

Unser Fazit: Die Anzahl der unproduktiven Zeit ist die Summe von vielen nicht-konstanten und nicht vorhersehbaren Variablen.

Stundenschätzung (B)

Nun widmen wir uns neben dem Stundensatz noch dem zweiten Bestandteil der Formel für die Preiskalkulation: der Stundenschätzung. Wie das Wort bereits erklärt, handelt es sich hier um eine reine Schätzung. Vielleicht kennst Du das:

  • Ist es realistisch, dass wir für eine Funktion X 8 Stunden benötigen, für die wir aber nur 4 Stunden geschätzt haben? Wir sind der Meinung «Ja»: Ein kleiner Bug, etwas unvorhergesehenes, ein Problem im Buildprozess, eine defekte Abhängigkeit und schon ist es passiert.
  • Ist es realistisch, dass wir für eine Funktion X nur 2 Stunden benötigen, für die wir aber 4 Stunden geschätzt haben? Wird sind der Meinung «Ja»: Heute läuft es wie geschmiert und alles hat auf Anhieb funktioniert.
  • Selbst wenn wir eine ähnliche Funktion Y bereits einmal umgesetzt haben, wie lange brauchen wir beim zweiten Mal dafür? Die Hälfte? Ein Viertel? Auch hier ist es unmöglich abzuschätzen, wie viel Code wir übernehmen können und wie viel Code angepasst werden muss. Schätzungen werden also auch mit Erfahrung nur bedingt genauer.

Es bleibt, was es ist

Das es sich hierbei um einen Schätzwert handelt, mit dieser Tatsache wollen sich viele Agenturen nicht einfach so abfinden. Viel Zeit und Ressourcen werden dafür investiert, die Schätzungen zu verbessern. Eine Methode, die man immer wieder antrifft ist die Stückelung einer grösseren Aufgabe in kleinere Teilaufgaben. Natürlich macht dies in vielerlei Hinsicht absolut Sinn (Motivation, Projektübersicht, Projektorganisation etc.), jedoch ist es sehr umstritten, ob dies insgesamt zu einer besseren Schätzbarkeit führt.

So fallen die Abweichungen der kleineren Aufgaben entsprechend auch immer etwas kleiner aus und werden darum nicht so stark wahrgenommen. Die Summe aller kleinen Abweichungen ist dann aber wieder ähnlich gross, wie bei der Gesamtschätzung. Zudem wäre es ein gigantischer Aufwand bereits in der Offertphase das Projekt in kleine Teilaufgaben zu unterteilen - falls dies überhaupt schon möglich ist, da man meistens erst während der Umsetzung alle Herausforderungen und Aufgaben des Projektes versteht.

Damit bleibt eine Schätzung was sie ist: eine Schätzung.

Unser Resümee

Wir multiplizieren eine schein-genaue Zahl (Stundensatz) mit einer ungenauen Schätzung (Stundenschätzung) und erhalten daran einen verbindlichen Preis für den Kunden. Das klingt für uns alles andere als verlässlich und logisch.

Ausblick

Probleme... Probleme... Probleme... und so geht es auch im nächsten Beitrag weiter. So teilen wir auch gerne unsere Gedanken zum Thema Controlling mit Zeiterfassung. Im dritten Teil der Serie kommen wir endlich zu einem möglichen Lösungsansatz mit dem Experiment «Value Based Pricing»!

Ein Beitrag aus dieser Serie
Value Based Pricing

Artikel über ein Umdenken von Agenturen von Stundenzählen zum wertbasierten Pricing.

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